Mode mit Mehrwert

  • Mode mit Mehrwert im Oxfam Shop
    © Oxfam | Daniel Seiffert

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Danke an fast 10.000 Ehrenamtliche sowie unzählige Spender*innen und Kund*innen!

Gebrauchtes zu Geld für die gute Sache machen – das Konzept der Oxfam Shops feiert 2020 in Deutschland Jubiläum. Aus dem improvisierten Garagenverkauf von einst ist ein bundesweites Netz professioneller Secondhand-Läden geworden. Oxfam sagt Ehrenamtlichen, Spender*innen und Kund*innen der Shops deshalb Danke – fürs Mitmachen, Spenden und Shoppen!

Wie viele gute Ideen nahm auch diese in einer Garage ihren Anfang – nicht im Silicon Valley, sondern am Rhein. Genauer gesagt in Bonn, damals noch Bundeshauptstadt: Dort, wo sonst der Rolls Royce eines Mitarbeiters der britischen Botschaft parkte, stapelten sich 1985 auf einmal bunt-gemischte Gebrauchtwaren. Die Ehefrau des Diplomaten hatte sich nämlich vorgenommen, das „Prinzip Oxfam Shop“ aus Großbritannien in ihre Wahlheimat zu exportieren. Was im Kleinen anfing, ist dreieinhalb Jahrzehnte später und 25 Jahre nach der Gründung von Oxfam Deutschland und der Oxfam Deutschland Shops GmbH zur großen Sache geworden – ein Rückblick auf die Shop-Geschichte.

1985: „Mozart“ und Madonna machen Mode

1985 – das war die Zeit, als Jean-Paul Gaultier in Paris Röcke für Männer auf den Laufsteg brachte und für Madonna kultgewordene Bühnenoutfits schneiderte, Frauen (noch) überdimensionale Schulterpolster trugen, der Film „Mozart“ der Mode eine nostalgisch-verspielte Note verlieh und Joschka Fischer sein Amt als hessischer Umweltminister in Jeans und Turnschuhen antrat – damals ein Novum. Es war das Jahr, in dem Deutschland in Isabel Allendes „Geisterhaus“ und Patrick Süßkinds „Parfüm“ schmökerte.

Außenaufnahme vom Oxfam Shop in Bonn in den Achtziger Jahren
© Oxfam
Außenaufnahme vom Oxfam Shop in Bonn in den Achtziger Jahren

Und es war das Jahr, in dem die Idee der Oxfam Shops nach Deutschland kam. Erna Cantrigliani ist 81 Jahre alt und seit dem Jahr Eins als Ehrenamtliche in Bonn dabei. Wenn sie von fast dreieinhalb Jahrzehnten Engagement im ersten Oxfam Shop Deutschlands erzählt, wird klar: Sie ist mit Leib und Seele „Oxfamerin“ – mit Elan, Esprit und Einsatz. Gefragt nach ihren Aufgaben im Shop, schmunzelt Erna, sie habe den „Schaufensterblick“: Seit Jahr und Tag gestaltet sie – anfangs allein, später abwechselnd mit Kolleg*innen – mit Liebe zum Detail die Auslagen des Shops und hat dafür sogar Preise gewonnen.

Ob südamerikanisches Flair, ägyptisch Angehauchtes oder das Ambiente eines britischen Clubs – Ernas Schaufensterdeko ist oft von einem bestimmten Thema inspiriert. Alle 14 Tage gibt es etwas Neues, das Kund*innen neugierig macht und zum Secondhand-Shopping anregt. „Einmal hatte ich kurz vor Weihnachten eine Gitarre ins Schaufenster gestellt. Ein Sänger hatte Interesse an dem Instrument – und hat im Shop spontan ein kleines Konzert gegeben. Er spielte 'Feliz navidad' und die Kund*innen haben mitgesungen und mitgetanzt.“ Erna hat viele solcher Lieblingserinnerungen, gesammelt in jahrzehntelangem Engagement als Ehrenamtliche. Der Oxfam Shop ist fester Bestandteil ihres Lebens: „Dass ich eines Tages mal nicht mehr für Oxfam arbeiten werde, mag ich mir gar nicht vorstellen“, sagt sie kurz vor den pandemie-bedingten, allgemeinen Geschäftsschließungen – damals nicht ahnend, wie bald sie eine längere Pause wird machen müssen.

Bonn: Von der Botschafter-Garage zum ersten Oxfam Shop in Deutschland
© Oxfam
Bonn: von der Botschafter-Garage zum ersten Oxfam Shop in Deutschland
Die bundesweite Shop-Schließung – ein Szenario, das sich bis März 2020 wohl niemand hat vorstellen können. Aber auch das haben die Shop-Mitarbeiter*innen gemeistert – mit Tatkraft, dem Wunsch, die Welt zu ändern, und der Gabe, gemeinsam anzupacken. Das war am Anfang nicht anders: Damals, in der engen und rasch proppenvollen Botschafter-Garage, sei alles recht improvisiert gewesen, erinnert Erna sich. Nach und nach eigneten sich die Bonner Oxfam-Pionier*innen enormes Wissen über das Führen eines Gebrauchtwarenladens an – „by doing“ und durch Kolleg*innen in Großbritannien. Dort gab es bereits etliche Shops; der erste hatte 1948 in Oxford eröffnet. Das Bonner Pendant zog innerhalb kurzer Zeit aus der Garage in einen Laden mit bester Einkaufslage in der Altstadt.

1995: Junge Leute tragen Plateau-Sneaker und bauchfrei

Außenansicht vom Oxfam Shop Frankfurt-Bornheim
© Oxfam | Kristof Lemp

Dass der Oxfam Shop eine gute Sache ist, sprach sich mit der Zeit auch rheinabwärts herum: Anfang der 1990er-Jahre folgte Oxfam Shop-Gründung Nummer Zwei in der Kölner Südstadt. Doch Oxfam hatte hierzulande noch mehr vor: 1995 gründete sich der entwicklungspolitische Verein Oxfam Deutschland e.V. und verstärkte den internationalen Oxfam-Verbund, zu dem sich die ursprünglich britische Nichtregierungsorganisation (NGO) mittlerweile gemausert hatte. Gleichzeitig wurden die GmbH Oxfam Deutschland Shops und ein dritter Laden im Frankfurter Stadtteil Bornheim gegründet. Die Idee, Überflüssiges flüssig zu machen und mit den Gewinnen Oxfams Arbeit in der humanitären Hilfe, der Entwicklungs- und Kampagnenarbeit mitzufinanzieren, fing Mitte des Jahrzehnts an, in der inzwischen vereinten Bundesrepublik Kreise zu ziehen.

Damals waren bauchfreie T-Shirts und Baggy pants in, unter denen die Unterhose hervorlugte: Jeans und Co. hingen absichtlich auf Halbmast. Außerdem waren Grunge und Girlie Trend: Die Neo-Hippies reaktivierten Schlaghosen und Häkelwesten; Turnschuhe – seit Joschka Fischers Auftritt im Kabinett zehn Jahre zuvor salonfähig und nun Sneaker genannt – wurden auf Plateausohlen „höhergelegt“. Girlies – das waren nicht nur Teenager, sondern auch junge Frauen in ihren Zwanzigern – betonten ihre Mädchenhaftigkeit mit Baby Dolls und dem Lingerie-Look. Auf der Lektüreliste stand „Sofies Welt“, Jostein Gaarders Philosophie-Roman, bei vielen Bundesbürger*innen ganz oben.

Wasserrohr als Kleiderstangen im Oxfam Shop: Wasser rettet Leben
© Oxfam | Christoph Jackschies for Pajarito Berlin

Bestseller und Modeneuheiten fanden sich beizeiten auch in den Oxfam Shops wieder. Dort standen die Mitarbeiter*innen vor der Frage: Wie präsentieren wir die Waren am besten? Wie muss zum Beispiel ein Shop-taugliches Bücherregal aussehen? Wo sich heute die Abteilung „Einrichtung und Umbau“ mit Kleiderstangen aus Wasserrohren und recycelbaren Bügeln aus Gras ebenso schicke wie umweltfreundliche Lösungen für das Ambiente der Shops einfallen lässt, war in der Anfangsphase Improvisation gefragt: „Zur Recherche ist die Geschäftsführerin der GmbH damals persönlich in die Filiale einer großen Buchhandelskette gegangen. Mit einem Zollstock hat sie dort heimlich die Regale ausgemessen“, erinnert sich Astrid Kleitke aus dem Fachbereich.

Upcycling-Modenschau im MOVE Berlin: Student zeigt selbstgemachten Schuh mit einer Basketball-Sohle
© Oxfam | Andrea Frey
Upcycling-Modenschau im MOVE Berlin: Student zeigt selbstgemachten Schuh mit einer Basketball-Sohle.

Mit der Zeit entwickelten die Oxfam Shops ihr eigenes Regalkonzept, das in den allermeisten Läden bis heute zum typischen Interieur gehört. Nach und nach wird es jedoch abgelöst: Seit 2015 bekommen neugegründete Läden oder Geschäftsräume, in denen eine Renovierung ansteht, ein modernes und stärker auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Gesicht. Der erste Shop im neuen Look war das MOVE in Berlin-Wilmersdorf – das Besondere vor Ort: Durch einfach verrückbare Ladenmöbel lässt sich dort Platz für Veranstaltungen schaffen. So wird das Secondhand-Geschäft seit einigen Jahren ab und an zum Laufsteg für Student*innen der Technischen Universität: Sie stellen selbstentworfene Upcycling-Mode vor und geben damit ein schickes Statement gegen den Wegwerfwahn der heutigen Fast Fashion ab.

2000: Modisch wird´s tierisch

Leoparden-Print war im Trend in den 2000er Jahren
© Sourav Mishra | pexels.com

Zurück ins Jahr 2000: Der befürchtete Computer-Crash zum Jahrtausendwechsel blieb aus, und auch an den Shop-Kassen gab es keinen Millenium-Bug: Langsam gewöhnten sich die Deutschen an ihr neues Zahlungsmittel, die ein Jahr zuvor eingeführte Währung Euro. Mit „Harry Potter und der Stein der Weisen“ stand damals ein Kinderbuch auf der Bestsellerliste monatelang unangefochten auf Platz Eins, denn es verzauberte auch erwachsene Leser*innen reihenweise.

Harry zog in Millionen Bücherregale ein – und Reptilienmuster im Leoparden-Print oder mit Zebrastreifen in die Kleiderschränke. Flippigere trugen auf Rave-Partys – allen voran der Love-Parade – Westen aus Kuhfell-Imitat. Hosenbeine wurden kürzer: In der Damenmode war der ¾-Look hip. Gleichzeitig rutschte der Hosenbund runter bis auf die Hüften. Modebewusste trugen dazu Mules (Pantoletten) mit breiten Absätzen und Kopftücher wie einst Brigitte Bardot Ende der 1950er.

Blick in den Oxfam Buchshop Berlin-Schöneberg
© Oxfam | Rainer Keuenhof
Blick in den Oxfam Buchshop Berlin-Schöneberg

In Darmstadt eröffnete zu Beginn des Jahrtausends Oxfams bundesweit zehnter Secondhand-Laden – ein Mixshop. Drei Shop-Varianten gab es damit inzwischen: Zu den Alleskönnern mit dem umfassendsten Sortiment waren spezialisierte Läden hinzugekommen – Fashionshops, die ausschließlich Mode mit Mehrwert und dazu passende Schuhe, Schmuck und Accessoires anbieten, und Buchshops mit Secondhand-Lektüre von Belletristik bis Fachliteratur, die zusätzlich CDs und DVDs führen. Der erste literarische Spezialladen ist im November 1999 ebenfalls in Darmstadt eröffnet worden. Pendants gibt es aktuell außerdem in Berlin, Frankfurt, München und Stuttgart.

Herz jedes Ladens sind die Ehrenamtlichen, die sich wöchentlich mindestens fünf Stunden engagieren. Eine, manchmal mehrere Schichten bestreitet ein*e Freiwillige*r im Secondhand-Shop, findet dort nicht nur eine sinnvolle Aufgabe, sondern oft auch gute Freund*innen: „Der Zusammenhalt ist groß, obwohl die Menschen sehr unterschiedlich sind. Bei uns ziehen zum Beispiel eine ehemalige Zollbeamtin, die erste Busfahrerin der Stadt, eine Altenpflegerin und ein ehemaliger Mitarbeiter der Bezirksregierung an einem Strang“, beschreibt Martina Fuchs das 65-köpfige „kunterbunte Team“. Die Germanistin hat 2006 begonnen, sich in Braunschweig – Shop Nummer 25 – für den guten Zweck einzusetzen.

Oxfam Shop: Komm rein. Beweg mit uns die Welt.
© Oxfam | Rainer Keuenhof

Der Job im Shop ist für Martina aber nicht nur wegen des guten Zwecks und der gemeinsamen Arbeit mit anderen Freiwilligen spannend. Auch die Freude der Kund*innen an ihren Errungenschaften aus zweiter Hand macht für sie das Ehrenamt aus: „Im Laden erlebe ich jeden Tag etwas Schönes: Jemand findet etwas Besonderes und freut sich – oder Kinder stehen strahlend vor den Spielsachen; manche kaufen sich bei uns von ihrem Taschengeld zum allerersten Mal selbst etwas und sind ganz stolz darauf.“

2010: Das Comeback der Tierprints

eine Kanne im Oxfam Shop – mit ihrer Geschichte
© Jörg Farys
Eine Kanne im Oxfam Shop – mit ihrer Geschichte, wie sie zur Sachspende wurde.

Neben berührenden Momenten erleben die Ehrenamtlichen in den Secondhand-Läden – 2010 ging in Karlsruhe der 35. Oxfam Shop an den Start – manchmal auch ungewöhnliche Dinge. Denn abgesehen von tollen Schnäppchen sind unter den über die Jahrzehnte unzähligen Sachspenden ab und an echte Schätze zu finden: Das kann eine Art Déco-Vase mit Echtheitszertifikat aus dem Nachlass der verstobenen Großmutter sein oder ein seidener Kimono, der sich beim Begutachten durch Expert*innen als eine 300 Jahre alte Kostbarkeit im Wert von mehreren hundert Euro entpuppt. Für solche Raritäten gibt es in den Shops ein eigenes Regal. Doch manches wandert statt in den Verkauf ins Museum. Das war zum Beispiel 2018 der Fall, als sich eine auf den ersten Blick unscheinbare Vase als die wohl mit Abstand bemerkenswerteste Sachspende entpuppte, die je in einem deutschen Oxfam Shop abgegeben wurde: Das altägyptische Vorratsgefäß entstand vor mehr als 5.500 Jahren – und ist nun in den Reiss-Engelhorn-Museen (REM) in Mannheim zu bewundern. 

Und das sonstige Secondhand-Sortiment während der Zehner-Jahre? Bot Bewährtes und Neues: 2010 erlebten Tierprints ein Revival auf Maxikleidern, Tuniken oder Tankinis, teils mit floralen Mustern gemixt. Neon tauchte als modischer Rückkehrer ebenso wieder auf wie Hot Pants und Schulterpolster, die anders als in den 1980er-Jahren allerdings nicht ganz so dick auftrugen. Neu dagegen: XXL-Taschen, opulenter, nicht zu übersehender Statement-Schmuck und der sogenannte Boyfriend-Style – ein legerer Gegentrend zu hautengen Skinny-Jeans. Lesefüchs*innen amüsierten sich über Tommy Jauds „Hummeldumm“ oder wanderten mit Dörte Hansen durchs „Alte Land“. Zum größten literarischen Hit seit Harry Potter wurde allerdings die „Shades of Grey“-Reihe.

2020: Notgedrungen sind Masken en vogue

Wegen Engpässen bei der Versorgung mit medizinischen Masken, nähen viele ihren Mund-Nasen-Schutz selbst.
© Ivabalk | pixabay.com

Was auf der Bestsellerliste 2020 ganz oben landen wird, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Fest steht jedoch, dass der Auftakt der neuen Dekade im Gedächtnis bleiben wird – auch in der Geschichte der Oxfam Shops: Ausgerechnet im Jubiläumsjahr mussten aufgrund der Corona-Pandemie erstmals alle 54 Läden auf einmal schließen und die beinahe 3.500 Engagierten für mehrere Wochen zu Hause bleiben. Zwei Monate später ging es mit AHA weiter: mit Abstandsregeln, Hygienemaßnahmen und mit Alltagsmasken vor Mund und Nase – ein Must-have auch in sämtlichen Shops der inzwischen gemeinnützigen Ladenkette: 2015 war die Wohltätigkeit anerkannt und die GmbH zur gGmbH geworden.

Kurz vor der Corona-bedingten Schließung hat die 25-jährige Lea Sahli begonnen, im Shop in der Berliner Bergmannstraße zu arbeiten: „Ich war gerade zurück aus einem Auslandssemester in Schottland. Dort habe ich Oxfam kennengelernt – und den Wunsch mitgebracht, mich für die NGO einzusetzen.“ Im drittjüngsten Oxfam Shop – im September 2020 hat in Weißensee der achte Berliner Shop eröffnet, der 55. in ganz Deutschland – ist Lea Sahli Fachfrau für Musikalisches: „Ich bekomme dadurch selbst viele Inspirationen. Denn beim Sortieren stoße ich auf Künstler*innen, die ich noch nie gehört habe.“

Die Studentin ist seit Mai mit vielen Ehrenamtlichen in den Secondhand-Läden wieder am Start. Auch Erna Cantrigliani, eine ihrer dienstältesten Kolleg*innen, ist dabei – mit unermüdlichem Elan für Oxfams Sache, den sie in Reimform an alle Shop-Mitarbeiter*innen weitergibt: Ziel sei „nicht zu stoppen, bis alle wieder bei Oxfam shoppen. Nach der Devise 'Oxfam hilft in aller Welt' verkauft Gebrauchtes und macht es zu Geld!“