Mode mit Mehrwert
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Danke an fast 10.000 Ehrenamtliche sowie unzählige Spender*innen und Kund*innen!
Gebrauchtes zu Geld für die gute Sache machen – das Konzept der Oxfam Shops feiert 2020 in Deutschland Jubiläum. Aus dem improvisierten Garagenverkauf von einst ist ein bundesweites Netz professioneller Secondhand-Läden geworden. Oxfam sagt Ehrenamtlichen, Spender*innen und Kund*innen der Shops deshalb Danke – fürs Mitmachen, Spenden und Shoppen!
Wie viele gute Ideen nahm auch diese in einer Garage ihren Anfang – nicht im Silicon Valley, sondern am Rhein. Genauer gesagt in Bonn, damals noch Bundeshauptstadt: Dort, wo sonst der Rolls Royce eines Mitarbeiters der britischen Botschaft parkte, stapelten sich 1985 auf einmal bunt-gemischte Gebrauchtwaren. Die Ehefrau des Diplomaten hatte sich nämlich vorgenommen, das „Prinzip Oxfam Shop“ aus Großbritannien in ihre Wahlheimat zu exportieren. Was im Kleinen anfing, ist dreieinhalb Jahrzehnte später und 25 Jahre nach der Gründung von Oxfam Deutschland und der Oxfam Deutschland Shops GmbH zur großen Sache geworden – ein Rückblick auf die Shop-Geschichte.
1985: „Mozart“ und Madonna machen Mode
1985 – das war die Zeit, als Jean-Paul Gaultier in Paris Röcke für Männer auf den Laufsteg brachte und für Madonna kultgewordene Bühnenoutfits schneiderte, Frauen (noch) überdimensionale Schulterpolster trugen, der Film „Mozart“ der Mode eine nostalgisch-verspielte Note verlieh und Joschka Fischer sein Amt als hessischer Umweltminister in Jeans und Turnschuhen antrat – damals ein Novum. Es war das Jahr, in dem Deutschland in Isabel Allendes „Geisterhaus“ und Patrick Süßkinds „Parfüm“ schmökerte.
Ob südamerikanisches Flair, ägyptisch Angehauchtes oder das Ambiente eines britischen Clubs – Ernas Schaufensterdeko ist oft von einem bestimmten Thema inspiriert. Alle 14 Tage gibt es etwas Neues, das Kund*innen neugierig macht und zum Secondhand-Shopping anregt. „Einmal hatte ich kurz vor Weihnachten eine Gitarre ins Schaufenster gestellt. Ein Sänger hatte Interesse an dem Instrument – und hat im Shop spontan ein kleines Konzert gegeben. Er spielte 'Feliz navidad' und die Kund*innen haben mitgesungen und mitgetanzt.“ Erna hat viele solcher Lieblingserinnerungen, gesammelt in jahrzehntelangem Engagement als Ehrenamtliche. Der Oxfam Shop ist fester Bestandteil ihres Lebens: „Dass ich eines Tages mal nicht mehr für Oxfam arbeiten werde, mag ich mir gar nicht vorstellen“, sagt sie kurz vor den pandemie-bedingten, allgemeinen Geschäftsschließungen – damals nicht ahnend, wie bald sie eine längere Pause wird machen müssen.
1995: Junge Leute tragen Plateau-Sneaker und bauchfrei
Damals waren bauchfreie T-Shirts und Baggy pants in, unter denen die Unterhose hervorlugte: Jeans und Co. hingen absichtlich auf Halbmast. Außerdem waren Grunge und Girlie Trend: Die Neo-Hippies reaktivierten Schlaghosen und Häkelwesten; Turnschuhe – seit Joschka Fischers Auftritt im Kabinett zehn Jahre zuvor salonfähig und nun Sneaker genannt – wurden auf Plateausohlen „höhergelegt“. Girlies – das waren nicht nur Teenager, sondern auch junge Frauen in ihren Zwanzigern – betonten ihre Mädchenhaftigkeit mit Baby Dolls und dem Lingerie-Look. Auf der Lektüreliste stand „Sofies Welt“, Jostein Gaarders Philosophie-Roman, bei vielen Bundesbürger*innen ganz oben.
Bestseller und Modeneuheiten fanden sich beizeiten auch in den Oxfam Shops wieder. Dort standen die Mitarbeiter*innen vor der Frage: Wie präsentieren wir die Waren am besten? Wie muss zum Beispiel ein Shop-taugliches Bücherregal aussehen? Wo sich heute die Abteilung „Einrichtung und Umbau“ mit Kleiderstangen aus Wasserrohren und recycelbaren Bügeln aus Gras ebenso schicke wie umweltfreundliche Lösungen für das Ambiente der Shops einfallen lässt, war in der Anfangsphase Improvisation gefragt: „Zur Recherche ist die Geschäftsführerin der GmbH damals persönlich in die Filiale einer großen Buchhandelskette gegangen. Mit einem Zollstock hat sie dort heimlich die Regale ausgemessen“, erinnert sich Astrid Kleitke aus dem Fachbereich.
Mit der Zeit entwickelten die Oxfam Shops ihr eigenes Regalkonzept, das in den allermeisten Läden bis heute zum typischen Interieur gehört. Nach und nach wird es jedoch abgelöst: Seit 2015 bekommen neugegründete Läden oder Geschäftsräume, in denen eine Renovierung ansteht, ein modernes und stärker auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Gesicht. Der erste Shop im neuen Look war das MOVE in Berlin-Wilmersdorf – das Besondere vor Ort: Durch einfach verrückbare Ladenmöbel lässt sich dort Platz für Veranstaltungen schaffen. So wird das Secondhand-Geschäft seit einigen Jahren ab und an zum Laufsteg für Student*innen der Technischen Universität: Sie stellen selbstentworfene Upcycling-Mode vor und geben damit ein schickes Statement gegen den Wegwerfwahn der heutigen Fast Fashion ab.
2000: Modisch wird´s tierisch
Harry zog in Millionen Bücherregale ein – und Reptilienmuster im Leoparden-Print oder mit Zebrastreifen in die Kleiderschränke. Flippigere trugen auf Rave-Partys – allen voran der Love-Parade – Westen aus Kuhfell-Imitat. Hosenbeine wurden kürzer: In der Damenmode war der ¾-Look hip. Gleichzeitig rutschte der Hosenbund runter bis auf die Hüften. Modebewusste trugen dazu Mules (Pantoletten) mit breiten Absätzen und Kopftücher wie einst Brigitte Bardot Ende der 1950er.
In Darmstadt eröffnete zu Beginn des Jahrtausends Oxfams bundesweit zehnter Secondhand-Laden – ein Mixshop. Drei Shop-Varianten gab es damit inzwischen: Zu den Alleskönnern mit dem umfassendsten Sortiment waren spezialisierte Läden hinzugekommen – Fashionshops, die ausschließlich Mode mit Mehrwert und dazu passende Schuhe, Schmuck und Accessoires anbieten, und Buchshops mit Secondhand-Lektüre von Belletristik bis Fachliteratur, die zusätzlich CDs und DVDs führen. Der erste literarische Spezialladen ist im November 1999 ebenfalls in Darmstadt eröffnet worden. Pendants gibt es aktuell außerdem in Berlin, Frankfurt, München und Stuttgart.
Herz jedes Ladens sind die Ehrenamtlichen, die sich wöchentlich mindestens fünf Stunden engagieren. Eine, manchmal mehrere Schichten bestreitet ein*e Freiwillige*r im Secondhand-Shop, findet dort nicht nur eine sinnvolle Aufgabe, sondern oft auch gute Freund*innen: „Der Zusammenhalt ist groß, obwohl die Menschen sehr unterschiedlich sind. Bei uns ziehen zum Beispiel eine ehemalige Zollbeamtin, die erste Busfahrerin der Stadt, eine Altenpflegerin und ein ehemaliger Mitarbeiter der Bezirksregierung an einem Strang“, beschreibt Martina Fuchs das 65-köpfige „kunterbunte Team“. Die Germanistin hat 2006 begonnen, sich in Braunschweig – Shop Nummer 25 – für den guten Zweck einzusetzen.
2010: Das Comeback der Tierprints
Und das sonstige Secondhand-Sortiment während der Zehner-Jahre? Bot Bewährtes und Neues: 2010 erlebten Tierprints ein Revival auf Maxikleidern, Tuniken oder Tankinis, teils mit floralen Mustern gemixt. Neon tauchte als modischer Rückkehrer ebenso wieder auf wie Hot Pants und Schulterpolster, die anders als in den 1980er-Jahren allerdings nicht ganz so dick auftrugen. Neu dagegen: XXL-Taschen, opulenter, nicht zu übersehender Statement-Schmuck und der sogenannte Boyfriend-Style – ein legerer Gegentrend zu hautengen Skinny-Jeans. Lesefüchs*innen amüsierten sich über Tommy Jauds „Hummeldumm“ oder wanderten mit Dörte Hansen durchs „Alte Land“. Zum größten literarischen Hit seit Harry Potter wurde allerdings die „Shades of Grey“-Reihe.
2020: Notgedrungen sind Masken en vogue
Kurz vor der Corona-bedingten Schließung hat die 25-jährige Lea Sahli begonnen, im Shop in der Berliner Bergmannstraße zu arbeiten: „Ich war gerade zurück aus einem Auslandssemester in Schottland. Dort habe ich Oxfam kennengelernt – und den Wunsch mitgebracht, mich für die NGO einzusetzen.“ Im drittjüngsten Oxfam Shop – im September 2020 hat in Weißensee der achte Berliner Shop eröffnet, der 55. in ganz Deutschland – ist Lea Sahli Fachfrau für Musikalisches: „Ich bekomme dadurch selbst viele Inspirationen. Denn beim Sortieren stoße ich auf Künstler*innen, die ich noch nie gehört habe.“
Die Studentin ist seit Mai mit vielen Ehrenamtlichen in den Secondhand-Läden wieder am Start. Auch Erna Cantrigliani, eine ihrer dienstältesten Kolleg*innen, ist dabei – mit unermüdlichem Elan für Oxfams Sache, den sie in Reimform an alle Shop-Mitarbeiter*innen weitergibt: Ziel sei „nicht zu stoppen, bis alle wieder bei Oxfam shoppen. Nach der Devise 'Oxfam hilft in aller Welt' verkauft Gebrauchtes und macht es zu Geld!“