Nachhaltige Mode: Mehr als nur fair

  • Dr. Josephine Barbe bei einer Veranstaltung im Oxfam MOVE Berlin
    © Oxfam | Benjamin Albinger

Alte Kleidungsstücke aufpeppen, Stoffe wiederverwerten, eigene Designs entwerfen: Warum nachhaltige Kleidung immer wichtiger wird und wie man ohne ständiges Shoppen trotzdem modisch angezogen ist, erklärt die Textilforscherin Josephine Barbe.
Dr. Josephine Barbe ist Dozentin für Ökonomie und Nachhaltigen Konsum an der TU Berlin und für Sustainability in Fashion an der Berliner Akademie Mode & Design (AMD). Zusammen mit Studierenden hat sie nachhaltige Designs bei Modenschauen im Shop Oxfam MOVE Berlin präsentiert.

Warum ist Ihnen nachhaltige Mode wichtig?
Wenn man im Bereich Mode und Textil arbeitet und die ganzen Wegwerf-Klamotten und Fast-Fashion-Produkte sieht, kommt man nicht darum herum, über Nachhaltigkeit nachzudenken. Viele Leute kaufen massenweise Kleidung, die sie dann nur wenige Male oder gar nicht tragen. Das führt dazu, dass die Kleidermüllberge immer größer werden.

Sie entwerfen selbst Mode. Welche Materialien nutzen Sie denn?
Zunächst schaue ich darauf, dass alle Bereiche der Produktion fair und nachhaltig sind. Als Materialien nutzen wir zum Beispiel recyceltes Polyester, ökologisch zertifizierte Baumwolle oder auch alternative Fasern wie SeaCell-Stoffe, also Fasern aus Algen. Außerdem finde ich Upcycling großartig, weil aus alten Kleidungsstücken neue, ungewöhnliche Designs entstehen und so die Lebensdauer der Textilien verlängert wird.

Wie passen die Oxfam Shops zu Ihrem Ansatz?
Das Konzept Secondhand-Mode ist an sich schon nachhaltig. Die Oxfam Shops finde ich besonders sinnvoll, weil entwicklungspolitische Arbeit hinter dem Secondhand-Prinzip steht. Außerdem ist ein Oxfam Shop ein schöner Ort für ausgefallene Stücke. Deswegen passt unsere Kooperation auch gut, bei der Studierende meiner Seminare ihre nachhaltigen Entwürfe bei Modenschauen im Oxfam Shop zeigen können. Bei einer dieser Veranstaltungen habe ich übrigens mal einen Armani-Pullover entdeckt, den ich toll fand. Seitdem weiß ich, dass man im Oxfam Shop exklusive Einzelstücke bekommt, die man sich normalerweise nicht leistet.

Kann man die Mode der Studierenden, mit denen Sie zusammenarbeiten, kaufen?
Hier muss man unterscheiden: Die TU-Studierenden werden Lehrkräfte, die AMD-Studierenden des Studienganges „Sustainibility in Fashion“ werden später Mode-Designer, arbeiten im Mode-Management oder Ähnliches. Noch kann man nichts von ihnen kaufen, sie studieren ja noch. Aber einige Student/innen sind schon so weit, dass sie konkrete nächste Schritte planen.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Alex Henkes, eine Studierende von mir, nimmt im Moment schon Bestellungen an. In den nächsten Monaten wird sie eine Website für ihre Kollektion „Ahugcollection“ veröffentlichen und die ersten Kleidungsstücke zum Verkauf anbieten (Anm. d. Red.: A Hug Collection; „Hug“ bedeutet umarmen, in die Arme nehmen, drücken).
Alex ist sehr weit. Momentan macht sie ihren Masterabschluss in nachhaltiger Mode an der AMD in Berlin. Sie hat zuvor an dem Institut Marangoni in London ihren Abschluss in Mode-Design unter den 15 besten abgeschlossen. Dadurch wurde ihre Abschluss-Kollektion bei der Graduate Fashion Week in London präsentiert. Gleich danach hat sie ein Praktikum im Design-Team bei DELPOZO absolviert und anschließend zwei Jahre bei SYBILLA im Design-Team gearbeitet. Beide sind ganz berühmte spanische Designer, die im Luxusbereich arbeiten.
Seit eineinhalb Jahren arbeitet Alex kontinuierlich an der Ahugcollection wobei sie alte Kleider neu gestaltet und wiedererfindet. Anfang dieses Jahres wurde ihr ein Preis für junge Talente von der NEO2 verliehen.

AHUGCOLLECTION

Sie scheinen beeindruckt von ihrer Arbeit zu sein …
Ja! Das Interessante ist, dass sie Strategien für eine Massenproduktion von Upcycle-Mode entwickelt, was die Produktion günstiger macht. Denn es muss nicht für jedes Kleidungsstück ein neuer Schnitt entwickelt werden. Ein Muster lässt sich für viele Teile anwenden. Und ich mag außerdem ihren Stil. Sie kombiniert Stoffe auf ganz besondere Weise. Statt Strick auf herkömmliche Weise in eine Richtung zu verarbeiten, näht sie verschiedene Muster kreuz und quer – und das sieht toll aus, sodass man oft denkt: „Das muss ich haben!“

Mit welchen Projekten beschäftigen Sie sich aktuell?
Ich versuche hauptsächlich die textile Wertschöpfungskette nachhaltiger zu gestalten. Das mache ich bei ganz verschiedenen Tätigkeiten.
Bei meinen Lehramtsstudierenden, die ja später als Multiplikatoren in die Schule gehen, möchte ich Aufmerksamkeit für die furchtbaren Verhältnisse schaffen, unter denen die Kleidung bei den Billiganbietern – und nicht nur bei denen – produziert wird. Im Netz gibt es viele erschreckende Videos, die den Arbeitsalltag der Textilarbeiter/innen zeigen. Wie kann es sein, dass ein neues T-Shirt nur zwei Euro kostet? Wer zahlt den Preis? Nur wenn man ganz früh, schon bei den Schülern, beginnt, kann etwas geändert werden. Ich möchte vermitteln, dass Kleidung auch unter fairen menschwürdigen Arbeitsbedingungen hergestellt werden kann.
Dann ist es besser ans Ende der Kette zu gehen und das T-Shirt secondhand, beispielsweise bei Oxfam, zu kaufen. Das geht allerdings nur bei qualitativ guten Kleidungsstücken, die billigen halten oft keine drei Wäschen.
Mit den Studierenden der AMD arbeite ich im Pre-Konsumentenbereich mit nachhaltigen Materialen. Wir entwerfen nachhaltige Mode und Accessoires. Wie zum Beispiel auch bei einem Zero-Waste-Projekt, also viel weiter vorne in der Wertschöpfungskette. Dabei geht es darum, Schnitte so zu gestalten, dass keine oder kaum Reststoffe übrig bleiben. Das ist nachhaltig, weil keine Stoffe verschwendet werden.

Was ist die Herausforderung dabei?
Die Schnittentwicklung muss sehr genau durchdacht sein und aus eventuell entstehenden Resten können beispielsweise Taschen entwickelt werden.

Was kann man über die Schnitte hinaus bei der Herstellung von nachhaltiger Mode tun?
Auf die Fasern ganz am Anfang der Wertschöpfungskette achten. Mich interessieren vor allem alternative Materialien für die Textilproduktion, also Milch, Bambus, das Revival von Hanf, Papier, SeaCell – gestrickt aber auch nach wie vor als Jersey für T-Shirts, weil sich der Stoff gerade jetzt im Sommer angenehm tragen lässt.
Da mich Leder nach wie vor als Material interessiert, habe ich ein Buch über die Lederverarbeitung geschrieben. Ich arbeite mit verschiedenen Formen von nachhaltigem Leder, sowohl vegan, wie Mushroom-Leder, als auch mit neuen Entwicklungen im Bereich Papier, das in Kombination mit Latex ein richtig haltbares Lederimitat ergibt. Der Vorteil hierbei ist, dass der Recycling-Prozess bei Altpapier bereits wunderbar funktioniert. Aber auch echtes Leder kann nachhaltig sein, wenn es von Schlachthöfen kommt, denn solange wir Fleisch essen, sind die Häute ein Abfallprodukt. Die Gerbung sollte dann aber nicht mit Chrome-Salzen sondern auf pflanzlicher Basis, zum Beispiel mit Rhabarberwurzeln oder Olivenblättern, geschehen.

Worauf kann ich als Verbraucher/in beim Kauf von Kleidung achten, um nachhaltig zu handeln?
Oft lohnt sich ein Blick in den Kleiderschrank. Eine Menge Sachen kann man neu kombinieren und somit länger tragen. Denn Nachhaltigkeit heißt auch reduzieren: Besser weniger, dafür aber bessere Qualität kaufen. Es gibt Marken, die nachhaltig und hochwertig sind, wie Hessnatur oder Lanius. Aber das ist oft eine Frage des Geldbeutels. Wer Lust auf günstige Kleidung hat, sollte am besten secondhand kaufen.
Und bald kann man sich vor dem Einkauf gut informieren: Aktuell wirke ich bei der Erstellung von dem Einkaufsratgeber „Buy Good Stuff“ für Berlin mit, einem Kooperationsprojekt zwischen der TU Berlin und der AMD, mit dem Ziel die Nachfrage und das Angebot ökologisch nachhaltiger und fair produzierter Kleidung in deutschen Einkaufsmetropolen zu ermitteln. Außerdem bietet der Ratgeber allgemeine Information rund um die Probleme konventionell hergestellter Mode und den Alternativen der nachhaltigen Mode.

Herzlichen Dank!