Fashion Revolution: Fünf Fragen

  • Mode-Expertin Sinah Schlemmer
    © Amaran Creative

Am 24. April ist Fashion Revolution Day. Ins Leben gerufen wurde der Tag, als die Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch 2013 eingestürzt ist. Dabei kamen über 1.100 Menschen ums Leben, mehr als 2.500 wurden verletzt.
Der Fashion Revolution Day soll an dieses tragische Ereignis erinnern und darüber hinaus auf die schlechten Produktionsbedingungen in der Textilindustrie aufmerksam machen. Gefordert werden mehr Transparenz und Verantwortung bei der Herstellung von Kleidung.

Zum Fashion Revolution Day und in der Fashion Revolution Week (vom 18. bis 24. April 2022) gibt es weltweit viele verschiedene Aktionen, die unter dem Motto „Who made my clothes?“ stehen.
Wir unterstützen die Idee der globalen Bewegung und handeln selbst nachhaltig: Denn die Oxfam Shops verkaufen gebrauchte Kleidung. So werden vorhandene Sachen länger genutzt – das ist gut für den Menschen und die Natur.

Die Mode-Designerin Sinah Schlemmer findet es „notwendig unserer Umwelt zuliebe, gebrauchte Textilien wiederzuverwenden.“ Darum hat sie 2020 das Upcycling-Label Amaran Creative gegründet. Indem sie aus gebrauchten Sachen neue Kleidung macht, setzt sie ein Statement gegen die Überproduktion in der Textilindustrie. Im folgenden Interview erzählt sie, warum Umdenken und Veränderungen in der Modewelt dringend nötig sind.

1. Warum stehst du hinter der Bewegung Fashion Revolution?

Es ist wichtig, dass man mehr tut und Aufmerksamkeit schafft, um die Missstände in der Textilindustrie zu zeigen. Dass es Organisationen gibt, die sich mit diesem Thema beschäftigen, ist super und das kann ich nur unterstützen!

An Fashion Revolution gefällt mir besonders gut, dass sie in ihrem Jahresreport Fakten veröffentlichen, die auf die Missstände hinweisen, und so in der ganzen Welt verbreitet werden – Fakten, die auf Daten von Forschungsinstituten beruhen. Und doch muss Vieles im Zusammenhang mit der Textilproduktion noch bekannter werden.

Den wenigsten ist bewusst, dass ein T-Shirt nicht fertig aus einer Maschine kommt, sondern dass es 55 Menschen braucht, um ein Shirt herzustellen, das am Ende viel zu billig verkauft wird.

2. Was machst du, um gegen die Fast-Fashion-Industrie ein Zeichen zu setzen?

Meine Upcycling-Mode. Ich entwerfe und produziere Kleidung selbst – überwiegend aus recycelten Stoffen beziehungsweise gebrauchter Kleidung. Mit den Sachen meines Labels Amaran Creative möchte ich nachhaltige Mode, zunehmend auch nachhaltige High Fashion, als bessere Alternative zu etablieren. Das ist meine Mission (lacht). Dabei möchte ich aber nicht den Zeigefinger erheben und zum Einschränken oder Opferbringen aufrufen, denn Mode ist auch ein Erlebnis und soll Spaß machen.

3. Und was können Leute machen, die nicht oder nicht besonders gut nähen können?

Secondhand kaufen und auf keinen Fall Neues. Und wenn es doch mal sein muss, dann weniger kaufen und dafür Gutes – aber am besten nie wieder neue Jeans.
Nachhaltigkeit kann man sich leisten. Man muss keine Billig-Mode von Fast-Fashion-Ketten einkaufen. In Secondhand-Läden, zum Beispiel in den Oxfam Shops, gibt es tolle Teile für kleine Preise. Man kann auch einen Kleidertausch veranstalten und den sogar zu einem großartigen Event machen.
Es geht nicht nur günstig, sondern auch umsonst: In einigen Städten stehen Klamotten oft in Kisten mit der Aufschrift „Zu verschenken“ auf der Straße.

Und wenn man ein wenig nähen kann, lässt sich mit wenigen Handgriffen aus einem alten Textil etwas Neues zaubern, zum Beispiel aus einem Handtuch ein toller Frottee-Rock, aus einer Kinderjeans eine Schürze für Kinder oder aus alten Krawatten ein Kissenbezug.

4. Du hast eben erwähnt, dass man am besten nie wieder neue Jeans kauft. Wie wir wissen, braucht es mehr als 7.000 Liter, um eine Jeans herzustellen. Ist das der Grund?

Ja, und nicht nur das. Neben der Ressourcen-Verschwendung sind die Arbeitsbedingungen der Menschen, die für uns die Klamotten herstellen, eine Katastrophe. Sie stehen zum Beispiel knietief in verseuchtem Wasser, werden davon krank oder sterben sogar. Zum Färben, Bleichen, Waschen und Bedrucken von Textilien werden viele Chemikalien verwendet. Die landen am Ende in der Natur.
Den meisten Leuten ist nicht klar, dass die Textilindustrie mit zu den größten Umweltsündern auf der Welt zählt. Der CO2-Ausstoß durch die weltweite Textilproduktion ist jährlich so hoch wie der von sämtlichen Wirtschaftszweigen der Länder Deutschland, Großbritannien und Frankreich zusammen.    

5. Was würdest du dir im Umgang mit Mode wünschen?

Das wären einige Dinge. Vor allem aber Wertschätzung. Viele ältere Menschen behandeln ihren Kleiderschrank wie ein Familienmitglied und verbinden Kleidung mit Emotionen, weil sie Lebensgeschichten erzählt. Sie sehen den Wert. Davon sollten wir uns inspirieren lassen.
Nachdem ich mal im Fernsehen zu sehen war und dabei meine Krawatten-Mode vorstellte, habe ich viel Post bekommen: Ein Professor hat auf dem Sterbebett gesagt, dass er möchte, dass seine Krawatten an mich gehen; eine Frau schickte mir Krawatten mit der Nachricht, dass die Schlipse ihres Mannes einen zweiten Auftritt erleben sollen. Da gibt es viele Geschichten …

Krawatten-Spende: Brief an Sinah Schlemmer
© Oxfam

Außerdem wünsche ich mir, dass Prominente mehr auf einen bewussten Umgang mit Kleidung und die Missstände in der Textilproduktion hinweisen. Sie sind Vorbilder und könnten damit viel bewegen.
Und auch von der Politik wünsche ich mir mehr. Bei Umweltschutz und CO2-Einsparung denkt jeder ans Fliegen, Autofahren, Fleischessen und so weiter, weil das oft kommuniziert wird. Dass die Textilindustrie eine der dreckigsten Branchen auf der Welt ist, muss mehr in die Politik aufgenommen werden. Wenn es den Menschen bewusster ist, kann jede und jeder mehr tun: Wir schränken uns hier und da ein, müssen aber trotzdem heizen, essen und mobil sein. Was wir nicht müssen, ist Fast Fashion kaufen.

Aktion im Oxfam Shop Frankfurt-Sachsenhausen